Prince Charming bei RTL+: Grässlich klischeehafte Verschmuddelung – die TV-Kritik von Anja Rützel (2024)

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Prince Charming bei RTL+: Grässlich klischeehafte Verschmuddelung – die TV-Kritik von Anja Rützel (1)

Es gibt ihn also wohl doch nicht, den guten Trash. Keine respektvolle, zeitgemäß diverse, womöglich sogar achtsame Neuinterpretation der klassischen, halsstarrig hetero- und meist auch knarzig patriarchal ausgerichteten Datingformate wie »Bachelor« und »Bachelorette«.

Denn leider muss man die schwulen und lesbischen Varianten »Prince Charming« und »Princess Charming«, mit denen die Produktionsfirma Seapoint Productions und RTL+ in den ersten Staffeln so vieles richtigzumachen schienen, was andere Formate nicht einmal als Aufgabenstellung betrachteten, und die man mit etwas Optimismus als selbstverständliche, unbekümmerte Repräsentation nicht-heteronormativer Sexualität sehen konnte, inzwischen als krachend gescheitert betrachten – und zwar aus zwei Gründen.

Schön wäre es, wenn man sich bei einer Kritik der »Charming«-Kuppeleien nur auf die erste Mängelkategorie beschränken könnte: Auf das, was sichtbar vor der Kamera oder im Schnitt schieflief, auf das lieblose Herunterwirtschaften eines guten Ansatzes, auf jene inhaltlichen und strukturellen Stolperer, von denen man beim Zuschauen nach den auch an dieser Stelle hochgelobten Premierenstaffeln enttäuscht war.

Nervige Fixierung auf Untenrum-Themen

Es wäre angenehm, wenn man nur bemängeln könnte, dass die »Princess« der zweiten Staffel eher unempathisch und unterkühlt wirkte, dass es schade ist, dass nahbar und sensibel besprochene Themen wie Transfeindlichkeit schon in der zweiten Staffel keinen Platz mehr fanden. Dass die gerade zu Ende gegangene, vierte Staffel von »Prince Charming« eine grässlich klischeehafte Verschmuddelung des Formats zeigte, mit nerviger Fixierung auf Untenrum-Themen und Fetischvorlieben.

Man würde sich gerne daran festbeißen, dass sich die gezeigten Gespräche zwischen »Prince« Fabian Fuchs und seiner Princegefolgschaft vor allem um die bevorzugte Größe von Bananen (hihi) und die Frage nach Top oder Bottom zu drehen schienen und dass princeseitig nur bei den inflationären Züngeleien eine gewisse Tiefe angestrebt wurde. Dass die Dates lieblos arrangiert schienen (wobei eine eventmäßige Sushi-Zubereitung auf einer griechischen Insel zumindest einen gewissen absurden Unterhaltungswert bot), die finale Entscheidung erzählerisch nicht wirklich plausibel entwickelt wurde und alle Charaktererkundungen so seicht und rollenreduziert blieben, wie es im Trashgenre üblich ist.

Natürlich war auch die erste Staffel stellenweise ein verknapptes, inszeniertes Kitschfestival, mit Ronan-Keating-Schmachtgesang in hüfthoch schmalzgefluteter Meeresgrotte, aber tatsächlich hatte man dennoch meistens das Gefühl, der Premieren-»Prince« Nicolas Puschmann halte mit seinen wahren Gefühlen, seinem echten Wesen weit weniger hinter dem Berg als seine Hetero-Schwippschwäger, die Bachelors.

Und, viel wichtiger: Man hatte das Gefühl, es ginge hier um mehr als um eine Liebelei mit ungewisser Haltbarkeit, nämlich um die Repräsentanz einer im Mainstreamfernsehen immer noch absurd unterrepräsentierten Gruppe. Dass man sich dieses gefühlte Sendungsbewusstsein vielleicht von Anfang an nur eingebildet hatte, dass es ganz sicher inzwischen längst nicht mehr von der Produktion priorisiert wurde, zeigte sich in der obligatorischen Regenbogenbastelei, die etwa zur Halbzeit jeder Staffel einmal plakativ über die Beteiligten hereinbricht.

Sonderbar heteroschonend zurechtgestutzte Wendung

Dieses Mal musste eine Schar Auserwählter zusammen mit »Prince« Fabian Strandgestein mit Scherben in Regenbogenfarben plätteln, wobei sich ein Gespräch darüber entwickelte, wie »bunt« oder »laut« man sein Schwulsein denn wohl ausleben dürfte, um die Mehrheitsgesellschaft bloß nicht zu irritieren. Das Thema nahm eine sonderbar heteroschonend zurechtgestutzte Wendung, als Kandidat Markus erklärt, er wolle seiner hom*osexualität »nicht so viel Raum geben« und halte vor allem den CSD für übertrieben: Je auffälliger sich Schwule präsentierten, desto mehr Angst könnten »die anderen« vor ihnen bekommen. Während Mitkandidat Leon dagegenhielt und jede Art der Repräsentation als »unglaublich wichtig« verteidigte, solange dabei niemand verletzt würde, pflichtete der Prinz Markus bei: Er sei für softe, gemächliche Annäherung, mit einem kompromisslosen »in your face, love it or leave it«-Auftreten könne man die Gesellschaft nicht verändern.

Beim Zuschauen scheint dieser defensive Anspruch der eigenen Community gegenüber wie eine triste, desillusionierende Reprise zu einer ähnlichen Szene in der ersten Staffel, in der »Prince« und Kandidaten sich bei einem Gruppendate in den Farben der Regenbogenflagge bemalten – und eine gegenteilige Meinung vertraten. »Ich finde es toll, dass wir zeigen können, dass wir stolz darauf sind, wer wir sind«, sagte Puschmann damals, »wir sind schwul, und wir verstecken uns nicht.« Und Kandidat Aaron beklagte, es gebe in der Schwulenszene immer noch das ideal, »möglichst hetero« zu wirken: »Als sei es zwar schon okay, schwul zu sein, aber man soll dabei doch bitte als Mann möglichst hetero wirken«.

Schön wäre es, man könnte diese verdruckste und vermainstreamte Wendung einfach auf unglückliches Casting schieben, auf einen augenscheinlich eher desinteressierten Prinzen, der bis zum Finale seine distanzierte Präsentationspersona nicht ablegen wollte oder konnte, der weder Kandidaten noch Publikum wirklich an sich ranließ. Womöglich, dachte man für eine Weile, könnte ja ein Spin-off-Format etwas retten: »Charmings in Paradise«, analog zum Hetero-Format »Bachelor in Paradise«, bei dem die Unvermittelten aus »Bachelor« und »Bachelorette« wie auf einem riesigen Grabbeltisch krutschteln dürfen, ob sich untereinander vielleicht noch was Passendes findet. Denn die Kandidaten dieser sonderbaren, vierten »Prince Charming«-Staffel waren deutlich interessanter als der »Prince«, und man würde dringend mindestens Dennis O., Leon und Joel noch einmal wiedersehen wollen.

Aber man kann sich bei einer »Charming«-Kritik eben nicht nur an den Dingen festhalten, die vor der Kamera passierten, sondern muss sich unbedingt auch anhören, was während der Produktion passierte und nicht ausgestrahlt wurde. Schon im August hatte die YouTuberin Frau Löwenherz auf sexuelle Übergriffe am Set von »Princess Charming« hingewiesen, über die sie als unbemaulkorbte Außenstehende und Stellvertreterin für die Betroffenen sprach, die vertraglich zum Stillschweigen verpflichtet sind. Sie nannte dabei keine Namen.

Vergangene Woche brach dann Jo, Kandidatin der ersten Staffel, mit einem Instagram-Post ihr vertraglich festgeschriebenes Schweigen.

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Sie erzählte, wie Mitkandidatin Wiki sie während der Dreharbeiten gegen ihren Willen zu Küssen habe nötigen wollen: Jo habe nachts bereits im Bett gelegen, als Wiki sich »untenrum nackt« unter anderem auf sie gelegt, ihre Arme über ihrem Kopf festgehalten und versucht habe, sie zu küssen. Wiki bestätigte diese Vorwürfe daraufhin in einem eigenen Instagram-Video: Sie wolle ihr Verhalten weiter reflektieren und »verantwortungsvoll« mit ihrer Schuld umgehen – was freilich mindestens merkwürdig klingt, weil sie sich in den anderthalb Jahren seit Ausstrahlung der Staffel eine Onlinepräsenz als Aktivistin gegen sexualisierte Gewalt aufgebaut hat, in denen gerade Konsens ein Kernthema ist.

Ein solcher Vorfall ist, wenn er nicht aufgearbeitet wird, für jedes Format fatal – ganz abgesehen von der persönlichen, menschlichen Betroffenheit des Opfers. Umso schwerwiegender ist er in einem Format, in dem viele Cast-Angehörige nicht nur von romantischer Liebeshoffnung zur Teilnahme getrieben wurden, weil sie eben auch eine politische Mission – oder zumindest eine Art Bildungsauftrag haben. Zumal »Princess Charming« auch für den ungewohnt warmen, innigen Umgang der Kandidatinnen untereinander gelobt wurde.

Die Produktion habe sie am Morgen nach dem Vorfall lange interviewt, sagt Jo. Am Ende verlässt sie das Format, Wiki bleibt. In einem Instagram-Statement schreibt der offizielle »Charmings«-Account vergangene Woche zu Jos Vorwürfen, »die Details und das Ausmaß« der von ihr beschriebenen Situation seien dem Team nicht bekannt gewesen, sonst hätte man »selbstverständlich sofort reagiert.« Das »Wohlergehen« der Single-Kandidatin habe »höchste Priorität«.

Daran kann man freilich zweifeln, weil es in der zweiten Staffel ebenfalls zu einem übergriffigen Vorfall kam, der sogar ausgestrahlt wurde: Princess Hanna Sökeland küsste Teilnehmerin Amelia, obwohl diese zuvor von ihrer Kussphobie gesprochen hatte und diese Annäherung ablehnte. Inzwischen gibt einen zweiten Fall, in dem eine Kandidatin der ersten Staffel in einem Instagram-Post von einem Übergriff in der »Charming«-Villa berichtet: Sie sei ebenfalls nachts im Gemeinschaftsschlafsaal von einer Kandidatin bedrängt worden, die schließlich ihren Finger »als Toy« missbraucht habe.

Die Produktion hat sich hierzu noch nicht geäußert, sondern scheint noch mit dem ersten Fall beschäftigt: In einem zweiten Statement bezieht sich die offizielle Instagramseite der »Charming«-Formate auf ein Gutachten eines Anwalts für Strafrecht, der die Szenen zwischen Jo und Wiki und das Interview am Folgetag gesichtet habe und zu dem Schluss gekommen sei, das Bildmaterial spreche »eindeutig für eine Einvernehmlichkeit« und eine sexuelle Nötigung oder Belästigung sei nicht belegbar. Man nehme »nein heißt nein« grundsätzlich ernst, aber man wolle die Kandidaten und Kandidatinnen vor »nachweislich falschen Darstellungen in der Öffentlichkeit schützen« – nachdem die Täterin Jos Schilderung bereits öffentlich bestätigt und ihren Übergriff zugegeben hat, klingt das, vorsichtig formuliert, als Stellungnahme mindestens kurios.

Man wolle nun die »bereits vorhandenen Sicherheitsmaßnahmen noch weiter optimieren«, heißt es weiter. Ob das reichen kann, um eine mögliche dritte Staffel glaubwürdig als positive, aufrichtige Repräsentationsspielwiese etablieren zu können, ist fraglich. Die naive Hoffnung auf die moralisch blitzsaubere, ohne schlechtes Gewissen konsumierbare, wohltuende und wache Trash-Alternative ist zumindest erst einmal passé.

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Author: Lilliana Bartoletti

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